Glücksforschung – Missverständnis, Professionalität oder Gefälligkeit?

Dass Schweizer besonders „glücklich“ seien, ist allenfalls „bloss ein gigantisches Missverständnis“ schreibt Rudolf Hermann in der NZZ vom 1.4.2016: Hohe „Glückswerte“ sind auch Ausdruck tiefer Erwartungen: Denn „Glücks“- oder „Zufriedenheits“-Umfragen messen nichts anderes als die Differenz zwischen Erwartung und Befindlichkeit: Sind die Erwartungen klein, ist der Erfüllungswert hoch. Ein hohes Befindlichkeitsniveau hat damit wenig Aussagekraft. Für bestimmte Kohorten, z. Bsp. länderspezifische Populationen, scheinen konstante Werte zu resultieren, in der Schweiz i.d.R. 80% positv. Das zeigen Tausende von Einwohner-, Kunden- und Mitarbeiterumfragen.

Motivationsforschung, Befragungspsychologie, ja sogar Gen- und ethnologische Forschung liefern Erklärungsbeiträge zu sog. „Glückswerten“. Quintessenz ist, dass „Glück“ nicht allgemein erklärt werden kann und deshalb nur bezogen auf spezifische Phänomene, Situationen und Erlebnisse der Befragten ausgerichtet „gemessen“ werden sollte. Die im NZZ-Artikel angesprochenen aufgrund von „Merkmalen“ erhobenen Befragungen „messen“ wegen deren unerklärtem Bezug deshalb allein, wie Populationen auf  derartige Fragestellung reagieren. Dies gilt in der Umfrageforschung generell: Das Abfragen von Merkmalen versetzt Antwortende in eine bilanzierende Rolle, quasi als Experten ihrer selbst. Die Antworten bilanzieren demnach allein die Differenz zwischen Erwartung und bezüglich Zeit und Situation unbestimmter Erfüllung.

Entscheidend ist das Muster, wie „Glückswerte“ sich innerhalb spezifischer „Glückssegemente“ verhalten: In ihren Erwartungen Enttäuschte senken ihre Ansprüche und sind damit „zufriedener“ als zuvor. Begeisterte steigern jedoch ihre Erwartungen und sind deshalb „weniger zufrieden“ – bezüglich des Durchschnittswertes ein Nullsummenszenarium. Ranglisten von Durchschnittswerten sind allein deshalb schon irrelevant, weil hohe Werte tatsächlich tiefere Zufriedenheit abbilden können und umgekehrt.

Damit ist das Meiste in der offiziellen „Zufriedenheits“- und „Glücks“-Forschung ad absurdum geführt. Das unverminderte Insistieren auf hohe „Zufriedenheit“ der Stakeholder nährt letztlich den Verdacht, dass es sich hier um wissenschaftlich zu wenig abgesicherte, wenn nicht mutwillige „Forschung“ handelt. Hohe Werte gefallen den Auftraggebern und legitimieren die Verantwortlichen in ihrem Tun. Kein Wunder treiben die Lieferanten derartiger „Forschung“ dieses risikolose Geschäft voran.

Bildquellen:

  • Unglücklich: Hindrik S via Foter.com CC BY-NC-SA

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