“Fake Perspectives” gewinnen vor “No Perspectives”

Die USA bleiben eine gespaltene Gesellschaft. Zwar gelang es der demokratischen Partei, in einer ihrer Kernzielgruppen, nämlich dem weissen Mittelstand, Alternativen zu rechtsstehenden Kandidatinnen zu bieten. Das dies eben doch nur zu knapp der Hälfte gelang, validiert  die Tatsache, dass Trumpwähler keineswegs nur  weisse Hillbillys des Rust Belts und ruraler Zonen sind. Um Mehrheiten zu bilden, ist diese Bevölkerungsgruppe einfach zu unbedeutend.

Die Vorstellung, von den VolksvertreterInnen in Washington nicht mehr repräsentiert zu sein, reicht bis tief in den Mittelstand, eine Bevölkerungsgruppe, deren Lebensposition sich seit Jahren nicht mehr verbessert. Dabei geht es dem Mittelstand nicht um das Gebaren der Superreichen, welche im obersten Dezentil ein Viertel der Einkommen und im obersten Perzentil ein Viertel des Kapitals besetzen. Dass Trump als einer dieser „Superreichen“ hier als Heilbringer erscheint, ist nachgerade ein Paradox dieser Situation. Denn dem Mittelstand geht es um Anerkennung und Stolz – nicht materielle Güter.

Rationale Momente wie die Entmachtung von Obamacare, Aufgabe des Klimaschutzes und  Steuererleichterungen für die Wohlhabenden kommen nur schwer an gegen emotionalisierte Themen wie Waffenbesitz, Ausländerfeindlichkeit und religiösen Fundamentalismus. Tatsächlich ist es Trump gelungen, den Zorn der Zukurzgekommenn auf das Politestablishment in Washington zu lenken. Nicht zu Unrecht: Gemäss eigenen Angaben (!!) verfügen die Kongressabgeordneten über ein durchschnittliches Vermögen von über 15 Mio Dollars, währenddessen die Vermögensrechnung weiter Teile des Mittelstandes nach Abzug der Hypotheken gerade Null auf Null aufgeht.

Das Bild der reichen Liberalen in Washington ist demnach in den Augen einer grossen Anzahl Wähler immer noch mehrheitlich von den Demokraten besetzt.

Folgt man den Perspektiven der Kongresswahlen, erscheint die Wahl von Trump in 2024 nicht unwahrscheinlich: Egal welche (welt-) politischen Entwicklungen noch folgen, wird sich an der ökonomischen und damit auch politischen Polarisierung in den USA wenig ändern.

Trump Wahlsieg Leserbrief NZZ 2016_12_01

1 Comments on ““Fake Perspectives” gewinnen vor “No Perspectives”

  1. Republik, Constantin Seibt

    Die Macht der Lüge in der Politik

    Constantin Seibt meint, „die Geschichte der politischen Luge (sei) erstaunlich jung“. Er widerlegt dies gleich selbst: Wie hinten richtig im menscheitsgeschichtlichen Kontext erwähnt, erhoben sich die Hominiden über die Tierwelt dank der Herausbildung kognitiver Fähigkeiten, Voraussetzung für Sprache und damit Kommunikation. Damit bekam „Machtausübung“ eine Dimension, welche weit über physische und materielle Aspekte hinauswuchs.

    Wenn „Politik“ die „Regelung der Angelegenheiten eines Gemeinwesens durch verbindliche Entscheidungen“ (Thomas Meyer) bedeutet, dann hiess dies auch seit Beginn der Menschheitsgeschichte, „Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung“ (Max Weber). „Geschichtenerzählen“ als Fähigkeit, vom „Nichtexistierenden“ zu reden, impliziert geradezu die politische Lüge – eine Konstante menschlicher Existenz seit Zehntausenden von Jahren und nicht erst des 20. Jahrhunderts.

    Neu ist also nicht das Phänomen der politischen Lüge, sondern die Technologie des Web und die Mechanismen der Social Media. Der Zugang zu den (Massen-) Medien ist heutzutage jedermann offen und die Deutungshoheit bestimmt sich nicht mehr durch den Kanal, sondern durch den Content. Wer mit seinem Content die Gefühle mobilisationsfähiger (beispielsweise wählender, abstimmender oder auch demonstrierender oder gewaltanwendender) Bevölkerungskreise gewinnt, erreicht Deutungshoheit und damit politische Macht. Trump und anderen Rechtspopulisten ist dies gelungen – auch weil die „alten“ Eliten ihre Machtpositionen zu offensichtlich missbraucht haben. Die neuen Potentaten könnten diese Deutungshoheit, wie Seibt richtig bemerkt, noch über Jahrzehnte behalten.

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