Angst als „Zeitenwende“ kaschiert

Vorsichtigerweise würde ein Historiker „Zeitenwenden“ erst in Jahrhundertzyklen beurteilen… Doch Eric Gujer traute sich aus Anlass seiner Rede an der GV 2022 der NZZ auch das zu. Doch wenn ein Trumpversteher, Klimaleugner und Coronaskeptiker plötzlich Kreide frisst und mit abgesägten Hosen dasteht, die sich dann noch nach Billigung jahrelanger Geschäftlimacherei mit den Schurken dieser Welt plötzlich aus Angst vor einer Eskalation des Ukrainekriegs füllen, quillt auch der Mund über.  Denn jetzt, wenn es im Globalisierungsgebälk kracht und Krieg in unsere Komfortzone einbricht, ist es sowohl für Kriecherei wie auch für Kraftmeierei zu spät.

Aus einem hehren Vertreter einer „Demokratie“, wie sie vom grossbürgerlichen Finanzkapitalismus gemeint wird, entpuppt sich plötzlich ein windiger Pragmatiker, welcher China gegenüber „Nüchternheit“ vertritt und sich gar dazu versteigt, gerade deshalb der Atomenergie das Wort zu reden, weil „ein überstürzter Ausstieg aus fossilen Brennstoffen die Abhängigkeit von China als Lieferant von Rohstoffen für die Energiewende (erhöhe)“. Opportunistischer, als in seiner Dankesrede zur Übergabe des Björnepreises geht nicht. Wenn sich Gujer hier noch gar als Epigone Kissingers darstellt, findet die Peinlichkeit vom kreidefressenden Wolf kein Ende mehr.

Sich plötzlich auf Bescheidenheit und Resilienz zu besinnen, ändert nichts mehr an der aktuellen Bedrohung für die Finanz- und Energiesysteme, welche Herrn Gujer in die Knochen fährt. Die sogenannte „Friedensdividende“ der letzten Jahrzehnte war denn auch nichts anderes als die Anhäufung von Reichtum und Machtanmassung durch das Grossbürgertum unter Duldung des sich ausbreitenden Sino- und Sowjetfaschismus.

Hätte man der politischen Unmoral wirklich entgegenhalten wollen, wären die Situationen von 1956 und 1968 bis hin zur Invasion von Tschetschenien, Georgien und der Krim Anlass genug gewesen. Gleichzeitig hat man es während Jahrzehnten verpasst, „Resilienz“ mit der Umsetzung sozialer und ökologischer Moralansprüche zu stärken. Allein die bürgerliche Politik fand es zweckmässiger, eine halbe Million Bürger zu fichieren, Studentenproteste niederzuknüppeln und die breite Bevölkerung über Jahrzehnte mittels Steuerhinterziehung dreist zu bestehlen, währenddessen der Service Public ausgeblutet wird.

Wenn man sich jetzt nicht traut, Munition an die Ukraine zu liefern, währenddessen Unterdrückerregimes als Waffenkäufer akzeptiert sind, dann sollte man sich auch daran erinnern, dass die bürgerliche Politik in den 60-er Jahren bereit war, die Kleptokratie in der Schweiz mittels Atomwaffen zu verteidigen.

Doch nun wo die Bedrohungssituation als existenziell erscheint, könnte man sich allenfalls zur einten oder anderen materiellen Einschränkung bequemen. Dabei ist klar, dass die Chancen, aus dem Appeasement herauszukommen, verpasst wurden und eine jetzt leider notwendige, massive Reaktion des Westens mit erheblichen Risiken verbunden ist. Es wäre auch 2014 im Sinne einer Stellvertreterkriegsführung schon zu spät gewesen, „die Regierung in Kiew mit Waffen auszustatten“,  wie Gujer ausführt. Denn die Verletzlichkeit der westlichen Welt besteht nicht nur aus der aktuellen Bedrohung, sondern als Folge der jahrelangen Dominanz des Profitdenkens.

Von einer Zeitenwende könnte man allenfalls dann sprechen, wenn Ungleichheiten und ungebremste Machtausübung durch soziale und basisdemokratische Politik ersetzt würden. Vorerst geht es jedoch darum, der Ukraine Waffen zu liefern und nicht erst aufzumunitionieren, wenn die Russen im Zürcher Weinland stehen.

Rede des NZZ-chefredaktors

3 Comments on “Angst als „Zeitenwende“ kaschiert

  1. „Rechte Nische“? NZZ-Chef Eric Gujer bekommt Ludwig-Börne-Preis

    Auch der BR24-Redaktor Dieter Jungblut durchschaut, dass „Eric Gujer seit (seinem) Amtsantritt (als) Chefredakteur (die NZZ) in eine „kleine, rechte Nische“, von der aus gern das „Wutbürgertum“ bedient wird“, gerückt ist. Dass ihm der Björnepreis ausgerechnet durch Leon Winter verliehen wird, sagt alles aus über die Scheinheiligkeit der NZZ – und deren Chefredaktor – im Angesicht der Ukrainekatastrophe. Leon Winter hat sich nicht zuletzt dadurch ausgezeichnet, dass er den Einsatz von nicht rechtsstaatlichen Maßnahmen gegen Terroristen, auch die Folter von Häftlingen in Guantanamo, verteidigt hat.

    In seiner Laudatio liess sich Winter u.a. über Folgendes aus: So verteidigt er die „Appeasement“-Haltung gegenüber Putin mit der Begründung, dass er (Gujer) „wisse, dass die Vorstellung, Russland könne in die Knie gezwungen werden, eine hohle und gefährliche Form der Selbsttäuschung (sei)“. Gujers stramm rechtsbürgerliche Haltung wird mit den Worten verklärt, dass „seine Liebe zu westlichen Werten und westlichen kulturellen Ausdrucksformen (dadurch erkennbar sei, dass er diese) in dem Schlüsselwort «Freiheit» zusammenfasse, und dies immer wieder gefühlvoll benutze“. Diese Gefühlsduselei liess Gujer denn auch in seiner Rede anlässlich der NZZ-GV von einer Super-Zeitenwende faseln, deren Unheil nur durch jetzt auch vom Grossbürgertum erkannte „Resilienz“ und „Bescheidenhei“ beizukommen sei.

    In seiner Dankesrede zum Björnepreis kam die Kreidefresserei dann noch zu einem neuen Höhepunkt: Selbstkritik, Realismus und ein neuer Pragmatismus seien jetzt angebracht, meint Gujer, und mit der Demokratie sei es ja gar nicht so weit her, denn – indem Gujer sich in den Schuhen von Henry Kisssinger zu bewegen versucht – „der liberale Gedanke, also die Mixtur aus Marktwirtschaft, Menschenrechten und Massendemokratie, besass nie Weltgeltung“. Mit der immer wieder gleichen Masche wird das Wasser dann wieder auf die Mühlen seiner Einflüsterer gelenkt, diesmal die Atomlobby, welcher wie folgt hofiert wird: „Ein überstürzter Ausstieg aus fossilen Brennstoffen erhöht die Abhängigkeit von China als Lieferant von Rohstoffen für die Energiewende“. Und woher kommt das Uran, hä? Aus Putins Vorgärtli, dänk!

  2. Und wieder spielt sich Gujer als Historienguru und weiser Warner auf – dies immer als kreidefressender Höseler im rechtsbürgerlichen Schafspelz auf dem Hintergrund einer 19% Handelsausdehnung der Schweiz mit Russland: „… die Nato (dürfe sich) nicht eine Salamitaktik oktroyieren“ kritisiert er die mögliche Lieferung von Kampfflugzeugen in der NZZ vom 10.2.2023. Putin darf das schon: Tschetschenien, Georgien, Krim, Donbas und jetzt 40% des ukrainischen Territoriums. Eine bedingungslose Unterstützung der Ukraine (wirke) zwar „moralisch einwandfrei“, sei aber nicht klug. Da sind wir schon auf die Klugheit des Herrn Gujer gespannt, wenn er Putin dereinst beispielsweise die baltischen Staaten in den Rachen werfen will.

  3. NZZ 24.2.2023: Und wieder schlägt der Weltenversteher Gujer zu: „In einen konventionellen Landkrieg ist Russland nicht zu besiegen“. Deshalb „wird man mit Russland über eine Friedensordnung reden müssen“. Am Besten man schickt dann Herrn Gujer, weil „Europa keine Antwort auf die geopolitischen Herausforderungen (weiss)“. Macron und Scholz rät er unterdessen „nach Ankara (zu) reisen“. So quasi als Vorübung zur Pilgerung nach Moskau?

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